Pfarrer Bernd Fetzer Wenn alles passt und nichts mehr geht?! Unterbrechung als Programm. Vorträge, Seminare und Texte
Pfarrer Bernd Fetzer Wenn alles passt und nichts mehr geht?! Unterbrechung als Programm.Vorträge, Seminare und Texte

Leseprobe aus den Erinnerungen meines Schulkameraden Hartmut!

 

Auf dem überdachten Raucherplatz vor der „Medizinischen“ sind links und rechts zwei Bänke angebracht und drei , fast meterhohe  Aschenbecher.

Die Bänke waren besetzt, und so ging ich zunächst den Weg, der von der Klinik weg führt, entlang. Er führt weiter, entweder zur Straße vor oder zum Parkdeck 4. Den ganzen Weg säumen links und rechts Bänke und gleich bei der ersten Bank traf ich auf zwei männliche Personen, Vater und Sohn, wobei mir der Vater schon am Vormittag, bei meiner Einlieferung begegnet  war. Da war aber seine Frau bei ihm. Sie hatte geweint und das war auch der Grund, weshalb ich diesen Mann ansprach. „Ihre Frau ist krank“, nehme ich an“, sagte ich und er nickte.

Dann erzählte er mir, dass seine Frau seit einem dreiviertel Jahr Krebs hätte

und dieser in vierteljährigen Abständen immer an anderer Stelle  im Körper auftauchen würde. Jetzt würde es ganz böse aussehen.

Beide um die 50, hätten sie vor etlichen Jahren zusammen einen

Getränkehandel in der Nähe von Balingen aufgebaut und nun, wo alles ziemlich gut laufen würde, bekam ihrer beider Leben eine Wende.

Wenn ich es richtig verstanden habe, machten die Ärzte ihnen wenig Hoffnung dass sie die kommende Woche überstehen würde. Ich konnte ihm nicht mehr länger in die Augen sehen, verabschiedete mich und ging weiter meinen Weg. Wie weh mir das tat.

Ganz vorne an der Straße setzte ich wieder auf eine Bank und dachte nach.

Aber schwierig über etwas nachzudenken, wenn man selbst von so einer Sache betroffen ist. Die Gedanken  drehen sich immer nur im Kreis.

Ich ging noch ein paar Schritte Richtung HNO-Klinik, aber weil es so heiß war, drehte ich bald wieder um und ging zurück.

Ich ertappte mich dabei, wie ich bei allen vorbeikommenden Menschen nach einem Kopfverband suchte, der auf eine Kopfoperation schließen ließ.

Vater und Sohn von meiner vorherigen Begegnung waren verschwunden,

wahrscheinlich bei ihrer Mutter, bzw. Frau. 

Die „Üblichen“ saßen beim Rauchen und in der Mitte des Platzes stand ein Rollstuhl. Ein Blick, ein freundliches Lächeln, ein Hallo. In dem Rollstuhl saß ein langhaariger, bärtiger, hagerer, braun-schwarzzahniger Kerl, und dieses Lächeln genügte für eine spontan aufkommende gegenseitige Sympathie.

Ich setzte mich auf die linke Bank zu einem jungen Mädchen, das in der linken Hand einen Ständer mit vielen Infusionsflaschen hielt und in der Rechten eine Zigarette. Belanglose Unterhaltung mit allen, wobei man auf die jeweiligen Krankheiten einging, und auch über  das Alter  der hier Anwesenden zu sprechen kam.

Mir gegenüber saß eine Frau mit Kopftuch und Brille, auch wir hatten gleich einen guten Draht zueinander. Sie mochte um die 35 Jahre alt sein. Sie war in der Klinik wegen Hüftproblemen.                                                                                                

 

 

                                                                                                                                       

 

Neben ihr, vielleicht 10 Jahre jünger, eine Frau mit Wasserkopf. Der man irgendwelche Stunts in den Hals operieren musste, aber die wegen verschiedener Allergien Schwierigkeiten mit den Operationen hatte.

An der Ecke an einem Pfosten stand noch eine junge, blonde traurig blickende Frau, die von ihrem Mann erzählte. Ihm stand die vierte OP bevor, und wie bei mir, Hirntumor-Stufe 4, bösartig, aggressiv, schnellwachsend, und das innerhalb eines Jahres. Auch hier schien, wie bei der Frau des Getränkehändlers  der Ausgang fraglich. Überleben? Eine Träne lief über ihre Wangen, dann ging sie mit geneigtem Kopf in Richtung Haupteingang und hinterließ bei uns zunächst mal betretenes Schweigen. Vier Operationen, viermal der gleiche, bösartige Tumor, meine Stimmung fiel auf einen Tiefpunkt. Nahm ich die Sache etwa viel zu locker? Gute Frage, auf die ich noch keine Antwort fand. 

Von dem Mädchen, das neben mir saß, weiß ich fast nichts, sie hat aber auf meine direkte Frage, wie alt sie sei, geantwortet.“16“. Sie hätte noch 6 Geschwister, und ihr Stiefvater und ein jüngerer  Bruder  würden sie morgen besuchen kommen. Si e schien aus dem südost-europäischem Raum zu kommen.

Und dann sprach sie doch ein paar wenige Worte über ihr Schicksal. Innerhalb kürzester Zeit bekam sie Tumore an den Nieren, Tumore in der Lunge, Tumore am Hals. Sie hat noch etwas aufgezählt, aber das nahm ich dann nicht mehr richtig wahr und machte mich sprachlos.

Trotzdem hat sie etwas ausgestrahlt, das ich nicht wiedergeben kann, ich spürte nur eine lebensfrohe Zuversicht aus ihren Worten. Meine Zigaretten gingen zur Neige, was mich veranlasste, einen Automaten zu suchen. Obwohl ich fast 2 Stunden unterwegs war, fand ich keinen, habe mich dafür aber fast verlaufen.

Eine halbe Stunde vor Torschluss war ich am Raucherpunkt. Mein Rollstühler war noch da, und er war meine Rettung. Die Sucht lässt dir keine Wahl, aber bereitwillig streckte er mir sein Zigarettenetui mit seinen „selbstgedrehten“ entgegen, als ich ihn um eine Zigarette bat. Danach hatten wir eine prima Unterhaltung, bei der wir über alte Zeiten und Musik sprachen, dass er auf C.C.Cale und Blues stand, und selbst Gitarre spielte. Das war jetzt nicht mehr möglich, seine Motorik war so sehr  eingeschränkt, dass fast nichts mehr möglich war. Auch das Gehen, weshalb er manchmal auch den Rollstuhl benutzen musste.

Für eine knappe halbe Stunde waren meine Depressionen verschwunden.

Natürlich waren meine „16-jährige“, „Kopftuchfrau“ und mein „Wasserkopf“ auch da. Dann verabschiedeten wir uns voneinander und „Rollstühler“ gab mir noch 3 Zigaretten mit, und ich ging hoch auf mein Zimmer.

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